Juni 18, 2017

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Was sich verändert. Und was bleibt.

By Florian (Weltgestalter Coaching)

Juni 18, 2017

Lernen, Neuorientierung, Persönlichkeitsentwicklung

Wir reden ständig von Veränderung. Change. Entwicklung. Wandel. Wachstum. Wir im allgemeinen (Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Stammtisch). Und wir im Besonderen (Coaches, Berater, Führungskräfte). Ich auch. Dabei vergessen wir oft, dass unsere Perspektive uns oft kaum erlaubt, wirklichen Wandel zu beobachten. Zu sehr stecken wir oft im Moment fest, versuchen mehr oder weniger gekonnt zu beschreiben, wie die Zukunft aussehen könnte und vorherzusehen, was wir tun müssen, um sie zu beeinflussen. Wir sehen sie nicht – die Erkenntnisse beim Blick zurück.

Umso wertvoller sind Momente, in denen man Menschen wieder sieht nach längerer Zeit. Meine eigene Veränderung – Neuanfang als Freiberufler nach drei Jahren in „festen Händen“ – führt dazu, dass ich diese wertvollen Momente gerade immer wieder erleben darf. Frühere Wegbegleiter – Freunde, Klienten, Kollegen – die über die letzten Jahre zu kurz kamen.

Oft Freude, Austausch, etwas Verlegenheit, erzählen, was los war – und dann hoffentlich ein guter Neustart.

Ein paar Erkenntnisse nach einigen Wiedersehen der letzten Wochen.

1) Menschen wachsen ihrem Purpose entgegen. Wirklich. Und gegen alle Widerstände. Und merken es oft gar nicht so richtig.

Elke (alle Namen und Geschichten verfremdet, um Anonymität zu wahren) erzählt. Von einem Schicksalsschlag, den sie vor einigen Wochen erlebte. Von aktuellen Marketingplanungen, bei denen sie Unterstützung möchte. Von Wünschen für die Zukunft – stabilere Auslastung, mehr „Wunschkunden“. Und plötzlich dieser Satz: „Denn weißt Du, nicht jeder der da so anruft, passt wirklich zu mir. Und die Leute rufen an. Und oft wirklich genau die richtigen. Und wenn ich die dann frage – dann beziehen sie sich genau auf den Text, den wir damals geschrieben haben gemeinsam“.

In meinem Kopf ist plötzlich das Bild wieder da. Elke vor knapp 4 Jahren. Voller Sorgen – ob eine Website zu ihrem Business passt? Was sie da reinschreiben könnte? Ob das nicht alles zu persönlich sei? Und ich vergleiche die selbstsichere, kompetente Frau, die da vor mir sitzt, mit Elke vor 4 Jahren. Und bin kurz sehr gerührt.

Meine Erkenntnis beim Blick zurück: Ja, Menschen wachsen wirklich. Sie reifen, sie werden selbstbewusster. Sie werden vorsichtiger. Sie fangen an, den ersten Erfolgen zu vertrauen. Lernen aus Erfahrungen, was funktioniert und was nicht. Fangen an, in größeren Dimensionen zu denken. Und integrieren all das, was sie in gemeinsamen, schmerzhaften Wachstumsprozessen erarbeitet haben, in ihr neues Ich. Und das ist ganz häufig wirklich reifer, größer, schöner als das alte.

Egal wen ich treffe: Den Topmanager, der vor ein paar Monaten von einer schweren Erkrankung mitten aus dem strategischen Change-Projekt seiner Karriere gerissen wurde und jetzt stolz erzählt, dass er in die Besetzungskommission auf Konzernebene geholt wurde. Der frühere Sanierer, der immer genervt war vom drögen Tempo seiner Chefs und seiner Organisationen – der plötzlich wild telefonierend im Stress, aber offensichtlich in seinem Element, vor mir sitzt und bei dem ich plötzlich verstehe, dass es genau das war was er meinte, als wir ein Life-Purpose-Bild für ihn entwickelt hatten, das ich damals nicht ganz tief verstanden hatte. Und das, obwohl der nächste Job nach unserem Coaching wohl ein Reinfall war. Die Kollegin, die ganz vorsichtig gefragt hatte vor einigen Jahren, ob es uns störe, wenn sie eine Formulierung der für ein gemeinsames Projekt entwickelten Vision in ihr persönliches Zielbild übernähme – und die jetzt genau das tut, was sie damals wollte. Sie alle sind gewachsen, und sie alle sind näher an dem, was sie sich damals in unseren Kontakten vorgestellt hatten, wohin sie wollten.

Und in fast allen Fällen gibt es einen Bezug zwischen dem Wachstum, was ich beobachten kann, und den Bildern der Zukunft, die wir in Coachings, Workshops, Arbeitssitzungen oder abends bei Bier entworfen hatten. Ich war immer überzeugt davon, dass positive und zukunftsgewandte innere Ressourcen helfen, ob Mission, Vision, Life Purpose, Captain und Crew oder persönliche Werte. Aber ich bin berührt über diese Erkenntnisse beim Blick zurück: wie Menschen sich entwickeln in dem Bild, das sie sich für sich vorgestellt haben. Und wie wenig sie es selbst bemerken, bis man ihnen den Spiegel vorhält.

2) Unsere Saboteure wachsen leider mit. Aber wir können mehr über sie lachen mit der Zeit.

Bis hierhin wäre alles wunderbar und eine Erfolgsgeschichte. Leider ist aber auch wahr: Unsere Saboteure wachsen mit. Egal was uns davon abhält, das Leben zu leben, das uns erfüllt und sich echt anfühlt – Ängste, nicht gut genug zu sein, eine ständige Wut darauf, dass die anderen zu langsam sind, Neid über das Glück, das andere haben, die Neigung, sich immer, immer zu viel zuzumuten – sie wachsen mit. Wie alte Bekannte tauchen sie jetzt, in den neuen Gesprächen, wieder auf.

Nicht, dass sich die Menschen die ich treffe nicht auch in der Bewältigung dieser Saboteure weiterentwickelt hätten. Fast alle berichten von Strategien, von Lernprozessen, sind ganz stolz darauf, wie sie jetzt mit diesem oder jenem Muster besser zurecht kommen.

Aber eliminieren – eliminieren kann man Saboteure leider nicht. Die blinden Passagiere bleiben auf dem Schiff des Lebens. Man kann sie hochholen aus dem Frachtraum, man kann ihnen einen Namen geben und ein Gesicht, damit man sie erkennt wenn sie auftauchen, man kann lernen, über sie zu lachen, mit ihnen zu tanzen, sie für die ein oder andere Arbeit an Deck einzusetzen. Aber töten oder verschwinden lassen – das scheint nicht so einfach zu gehen.

Und lustigerweise ist die häufigste Reaktion meiner Gegenüber, wenn sie das bemerken, ein wohlwollendes Lachen: „Ah, da ist er/sie ja wieder“. Wie ein alter Bekannter wird der Saboteur begrüßt. Und da – da ist dann doch wieder Wachstum, denn ich kann mich erinnern, dass die Figur bei der ersten Begegnung noch Angst machte, großes Unbehagen verursachte. Jetzt ist sie zwar wieder da – aber sie ist handhabbarer geworden. Meist mit Humor und Distanzierung, gemischt mit einer pragmatischen Prise Bewältigungstechnik.

Und so lacht mein früherer Coachee, der immer unsicher war, ob er sich wirklich trauen sollte, sich selbständig zu machen, als er merkt, dass in der Frage „Wie kann ich mehr Leichtigkeit beim Delegieren haben?“ für sein inzwischen gut gewachsenes Unternehmen sein alter Saboteur steckt. Und selbst die Projektleiterin, die ich wieder treffe, die aktuell gar nicht an den Job denken kann, sieht angesichts ihres persönlichen Schicksals das gleiche Muster aktiv wie damals im Projekt.

3) Sie haben es eh alle immer gewusst. Verdammt auch.

Was ist eigentlich mit mir? Während ich so fröhlich über das Wachstum der Menschen um mich herum berichte frage ich mich, was eigentlich aus mir geworden ist? 1 und 2 stimmen für mich natürlich auch: „Life Purpose“ und persönliche Vision jetzt viel besser erkennbar – und zwar nicht trotz, sondern teils wegen persönlicher Krise dazwischen. Saboteure alte Bekannte – ja, meine Tendenz zu viel zu wollen und dann nervös zu fragen „darf ich das“ ist immer noch da. Und ja, auch ich kann mehr darüber lachen als früher.

Aber in der Innensicht sehe ich noch einen Aspekt, der bei der Beobachtung anderer Menschen nicht so auffällt. Einfach, weil man dafür die Innensicht braucht.

Meine Erkenntnis beim Blick zurück: Ich zeige heute viele Dinge, die ich früher verborgen habe. Vor anderen, aber auch vor mir selbst. Doofe Seiten, Unwissenheit, Unperfektheiten. Was soll ich auch anderes tun, nach einer großen unfreiwilligen Auszeit. Kann man ja schlecht behaupten, es sei alles immer nur rosig.

Das spannende: Sie haben es alle immer gewusst. Manche sind vielleicht erstaunt über bestimmte Aspekte der persönlichen Geschichte – aber im Grunde genommen haben es alle immer gewusst. Dass ich auch nur ein Mensch bin. Verdammt auch. Hätten sie mir mal sagen können. Denn anscheinend haben sie diese Erkenntnisse beim Blick zurück nicht davon abgehalten, mit mir zu arbeiten, mich um Rat zu fragen, mir einen Platz in ihrem Wachstum zu geben.

Nur ich. Ich habe das nicht immer gewusst. Und ich befürchte, das Nicht-Wissen und Nicht-Glauben-Können, trotz (und machmal wegen) aller menschlichen Eigenheiten und vermeintlichen und tatsächlichen Schwächen gebraucht, geschätzt und wertvoll zu sein, das ist einer von meinen Saboteuren, die immer wieder auftauchen.

Aber jetzt hat er ein Gesicht. Und ich erkenn ihn. Und ich versuche mal, im eine Arbeit in der Schiffskombüse anzudrehen. Mal sehen, wie lange er da beschäftigt bleibt.

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Florian (Weltgestalter Coaching)

About the author

Florian ist Entwicklungspartner für Persönlichkeit, Führung und Kultur.

Er hilft Führungskräften und Unternehmer*innen, ihre persönlichen Werte zu leben, ihr Purpose-Thema zu finden und dieses souverän zum Erfolg zu führen.

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